Gimpel Westgrat
Seit Jahren fasziniert mich der Anblick vom Gipfel der Roten Flüh auf den Gimpel. Über den Westgrat führt eine Kletterroute, die ich unbedingt einmal begehen möchte. Bisher ist dieses Vorhaben an geeigneten Kletterpartnern bzw. deren Verfügbarkeit gescheitert. In diesem Jahr starte ich einen Aufruf in unserer WhatsApp Klettergruppe und Michael zeigt spontan Interesse. Jetzt brauchen wir nur noch einen geeigneten Termin und gutes Wetter. Die Kletterrouten in den Tannheimer Bergen verlaufen nicht alle im festen Fels, Steinschlag lässt sich daher nicht immer vermeiden. Eine Begehung am Wochenende scheidet daher für mich aus, da sich zu viele Seilschaften in den Wänden rund um das Gimpel Haus tummeln.Der Gimpel Westgrat mit Routenverlauf. Orangener Punkt: Schlüsselstelle
Nach einer Schlechtwetterperiode ab dem 5. September sehen die Aussichten ab 11. September wieder sehr gut aus. Wir (Michael, Sabine und ich) starten in der Mittagszeit in Richtung Tannheimer Tal und stehen nach gut vier Stunden Fahrtzeit an der Talstation der Gimpel Haus Materialseilbahn. Wir nutzen den Gimpel Haus Service unser Gepäck (2 Euro pro Gepäckstück) direkt zur Unterkunft befördern zu lassen. Ohne zusätzlichen Ballast ist der Aufstieg zum Gimpel Haus in 46 Minuten geschafft.
Wir erhalten ein Viererzimmer (zwei Doppelstockbetten mit Waschbecken) und nutzen erst einmal die heißen Duschen im Keller (Duschmünze 2,50 Euro für lange 4 Minuten). Nach dem Abendessen lassen wir den Tag bei einem Bierchen ruhig ausklingen und freuen uns auf die bevorstehende Mehrseillängenroute am nächsten Tag.
Am Morgen ist es noch bewölkt. Erst gegen Mittag soll die Sonne herauskommen. Für den Aufstieg vom Gimpel Haus 1.659 m zur Judenscharte auf 2.081 Meter ist es ganz angenehm, nicht in der vollen Sonne zu laufen. An der Scharte legen wir die Kletterausrüstung an. Wir sind als Dreierseilschaft unterwegs und können uns daher nicht bei jedem Stand in der Führung der nächsten Seillänge abwechseln. Michael und Sabine haben kein Problem damit, dass ich meine langjährige Wunschroute vorsteige.
Die Spannung steigt. Ist der Weg über den Grat leicht zu finden? Wie meistere ich die Schlüsselstelle? Die Schwierigkeiten bewegen sich meist zwischen II und III, sollten daher keine Probleme bereiten. Die Schlüsselstelle Nur Mut Johann ist mit IV/A1 bzw. V-/A1 bewertet (je nach Quelle). 8 Seillängen sind es bis zum Gipfel und die Standplätze sind hervorragend mit jeweils zwei Sicherungspunkten abgesichert. In der ersten Seillänge sind laut Topo zwei Zwischenhaken vorhanden, ich finde drei. Obwohl die Route schon sehr häufig begangen worden ist, sind die Griffe mit wenigen Ausnahmen nicht abgespeckt. Hin und wieder sind die Griffe locker und vor jeder Belastung sollte der Fels auf Festigkeit geprüft werden. Der erste Stand befindet sich etwas versteckt um die Ecke und erschwert die Rufverbindung.
Am Stand nach der dritten Seillänge (es gibt auch Topos, die fassen die zweite und dritte Seillänge zusammen) steht man vor der Schlüsselstelle, eine abgespeckte Platte mit der verwaschenen, roten Aufschrift Nur Mut Johann!. Schaut man genau hin, steht dort aber NUN MUT JOHAN!
Der mir vorliegende Führer empfiehlt die Stelle A1 zu gehen, also unter Zuhilfenahme von einer Bandschlinge, die in den ersten Haken eingehängt und als Trittschlinge benutzt wird. Die Platte ist so abgespeckt, dass ich dieser Empfehlung gerne nachkomme. Auch in der folgenden Seillänge befindet sich eine abgespeckte Stelle - Schinder genannt, die mit IV/A0 bewertet ist. Ich gehe im Vorstieg kein Risiko ein und hänge einen Panic Clip in den ersten Haken ein, um mich daran hochzuziehen - Sicherheut geht vor.
In der vorletzten Seillänge interpretieren wir die Beschreibung falsch. Dort heißt es: "Über die flache Schrofenkuppe und links an dem frei stehenden Zapfen vorbei zum letzten Grataufschwung". Ich steige zu weit links ein und stoße daher weder auf den großen Keil noch die große Sanduhr. Erst am Stand mit dem Ringhaken bin ich wieder in der Richtung Route. Der eigentliche Einstieg zu dieser Seillänge befindet sich hinter dem Zapfen.
Die letzte Seillänge über den flachen Grat erfordert keine Sicherung mehr. Wir nehmen die Halbseile auf und kraxeln die letzten Meter zum Gipfel, den wir nach 3,5 Stunden erreichen. Als Dreierseilschaft braucht es mehr Zeit, aber die hatten wir auch reichlich an diesem schönen September Tag.
Nach einer Stunde Rast steigen wir über den Normalweg ab, der nicht unterschätzt werden darf. Schwierigkeiten bis II+ müssen im Abstieg ohne Seilversicherungen überwunden werden.
Wir deponieren unsere Rucksäcke am Einstieg und steigen auf die Rote Flüh, um unsere erste, gemeinsame Mehrseillängenroute in Augenschein zu nehmen. Vom Gipfel der Roten Flüh sieht der Westgrat eindrucksvoll und steil aus (Bild siehe oben). Inzwischen ist es fast wolkenlos und der Ausblick gigantisch:
auf Bild klicken, um Panorama im neuen Fenster zu öffnen (7,2 MB!)